Nova Srpska Skola, NZZ, danas
SrdjanM
2011-03-27 03:59 AM
Die Rebellen-Schule
Ein Think-Thank in Belgrad bringt Aktivisten bei, wie man autoritäre Regime zu Fall bringt. Ägyptische Oppositionelle holten sich hier Tipps, bevor sie Mubarak vom Thron jagten. Oberstes Prinzip ist die Gewaltlosigkeit. Vorbild ist die Entmachtung von Slobodan Milosevic in Serbien.
Von Andreas Ernst, Belgrad
Die Belgrader rieben sich die Augen, als sie im vergangenen Februar die Fernsehbilder aus Ägypten sahen. In der Menge der jungen Demonstranten, zwischen arabisch beschrifteten Transparenten und dem verunstalteten Porträt von Staatschef Mubarak tauchten Fahnen mit einem serbischen Symbol auf: die schwarze Faust - das Zeichen, das die Widerstandsbewegung Otpor vor über zehn Jahren beim Sturz von Slobodan Milosevic verwendete. Wie war es nach Kairo gelangt?
«Besser als wir damals»
Die Antwort findet sich in einem kleinen Büro im Parterre eines Einkaufszentrums inmitten der mächtigen Wohnsilos von Novi Beograd. Dort sitzt Srdja Popovic. Er war Gründungsmitglied von Otpor. Heute leitet er Canvas, einen Think-Tank für revolutionäres Know-how. Wurde hier die ägyptische Revolution geplant? - «Ein paar Aktivisten der Bewegung <6. April> waren hier», sagt der hochgewachsene 37-Jährige. «Sie haben unseren Kurs besucht und sind wieder abgereist. Was sie mit unsern Instrumenten gemacht haben, war allein ihre Sache.» Canvas bietet weltweit Kurse an in gewaltlosen Aktionen und Strategien für den Umsturz autoritärer Regime. Nicht nur für Revolutionäre und Aktivisten, Canvas vermittelt sein Wissen auch an Universitäten und bei internationalen Organisationen.
Die Ägypter, so erzählt Popovic, seien brillante Schüler. «Besser als wir damals.» Sie seien bei ihrer Revolution lehrbuchmässig vorgegangen, erzählt Popovic. Die ägyptischen Aktivisten testeten in kleinen Demonstrationen ihre Gegner. Würde die Polizei schiessen? Nachdem sie einen Protestzug mit Tränengas auseinandergetrieben hatte, forderte ein Parlamentarier, härter durchzugreifen. Beim nächsten Protest trugen die Demonstranten Zielscheiben auf dem Körper. Doch die Machthaber zauderten. Sie wollten kein Blutbad. Damit war das «Spielfeld» für die Konfrontation definiert: Mit scharf schiessender Polizei musste nicht gerechnet werden. Die Angst schwand, der Enthusiasmus wuchs.
Dann versuchte das Regime ein Chaos zu provozieren. Schlägertrupps wurden entsandt, Läden ausgeraubt und der Kehricht liegengelassen. Die Demonstranten blieben diszipliniert, organisierten ihre Selbstverteidigung, schützten Geschäfte und räumten den Abfall weg. Die Otpor-Flagge war verschwunden, jetzt protestierten nicht mehr nur Aktivisten, sondern Bürger aller Schichten unter der ägyptischen Flagge. Begeisterung schwingt mit in Popovics Schilderung, die Augen funkeln, und hinter dem Dozenten scheint für einen Moment der Revolutions-Veteran hervor. «Sie machten einfach alles richtig. Wir verfolgten die Ereignisse über Facebook, aber Beratung gab es keine.» Die Leute vor Ort müssten die Entscheidungen treffen. Eine Einmischung von aussen sei fatal bei einem Umsturz. Popovic spricht aus Erfahrung. Zur Zeit Milosevics hätten ausländische Diplomaten einmal diesen, dann jenen Oppositionspolitiker unterstützt und ihnen Geld zugesteckt. Dadurch sei der Widerstand noch stärker zersplittert worden und habe im Volk an Ansehen verloren.
Die zweite Todsünde eines jeden Aufstandes sei die Gewalt, doziert Popovic. Verhindert werden könne sie nur durch strikte Planung, Einheit und Disziplin. «Der gewaltlose Umsturz ist eine militärische Operation ohne Waffen. Es gibt keinen Platz für Spontaneität.» Damit knüpft Popovic an einen grossen Revolutionsexperten an, ohne ihn zu nennen: Lenin. Dieser wusste, dass erfolgreiche Revolutionen nicht geschehen, sondern «gemacht» werden. Vorausgesetzt, die Zeit ist reif. «Wenn die unten nicht mehr wollen und die oben nicht mehr können», heisst es bei Lenin. Popovic sagt es so: «Jedes Regime hat ein Verfallsdatum.» Wenn es überschritten sei, treten die Revolutionäre in Aktion. Sie schwächen die Macht, indem sie sie «entlarven», der Lächerlichkeit preisgeben und ihre Lügen zeigen. «Die Mächtigen sind darauf angewiesen, dass man ihnen glaubt und gehorcht.»
Damals in Serbien organisierte Otpor nicht nur Protestmärsche, sondern veranstaltete Events, um die Bürger zu mobilisieren. Der Geburtstag Milosevics etwa wurde gefeiert, indem Kuchen verteilt und ein Geschenkpaket vorbereitet wurde: eine Gefängniskleidung und ein Einweg-Ticket nach Den Haag. «Der gewaltlose Kampf ist ein Kampf um den öffentlichen Raum.» Mit den neuen Medien, sagt Popovic, hätten Revolutionäre auf der ganzen Welt neue Waffen in die Hände bekommen. Die Verbreitung von Gegeninformation, die Mobilisierung und der Austausch innerhalb der Gruppe seien schneller und billiger geworden. «Wir druckten noch Flugblätter.» Zudem brauche jede Revolution ein Gesicht, eine Identität. Das müsse kein charismatischer Führer sein. Die Marketinglehre zeige, dass Identität auch durch Symbole, Musik und die Hervorbringung eines Lebensgefühls geschaffen werden könne. Revolution als Lifestyle? «Das gehört dazu. Wir hörten Rock, die Ägypter fahren auf Rap ab, und Gewalt gilt als uncool.»
Srdja Popovic stammt aus einer Belgrader Journalistenfamilie. Das Interesse an Politik sog er mit der Muttermilch auf. Noch während des Biologiestudiums begann er für die oppositionelle Demokratische Partei (DS) von Zoran Djindjic zu arbeiten, dem charismatischen Politiker, der später einem Attentat zum Opfer fiel. «Meinen ersten Lohn erhielt ich in einem Umschlag aus Zorans Hand», sagt Popovic stolz. Angewidert vom Trauerspiel der zerstrittenen Opposition, gründete er 1998 zusammen mit zehn Mitstreitern Otpor. «Die Erfahrungen im zweijährigen Kampf gegen Milosevic waren entscheidend für die Ausarbeitung unserer Theorie.»
Nach dem Sturz des Regimes sass Popovic drei Jahre lang als Abgeordneter für die DS im Parlament, bevor er 2003 Canvas aufbaute. Rund 50 Mandate hat das Institut seither laut Popovic an Land gezogen. Dazu kommen ein halbes Dutzend Vorlesungen pro Jahr an Unis. «Wir verkaufen kein Geheimwissen, alles ist auch auf unserer Website einsehbar», betont Popovic. Doch wer bezahlt die 4,5 festen Stellen von Canvas? Die Hauptlast trägt Slobodan Djinovic, Otpor-Mitbegründer auch er und Besitzer einer Telekommunikationsfirma, die ihren Sitz im oberen Stock des kleinen Einkaufszentrums an der Ghandistrasse hat.
Was kommt nach dem Umsturz?
Weshalb insistiert Popovic auf Gewaltfreiheit? «Weil sie effizienter ist!» Gewaltloser Widerstand brauche die Massen. Deshalb könne man auch keinen gewaltsamen Umsturz «exportieren». Es habe 2004 Leute in Weissrussland gegeben, die dachten, mit einer Million Dollar und dem serbischen Handbuch könne man den Diktator vertreiben. Für den gewaltfreien Umsturz brauche man aber eine Mehrheit. In Ägypten habe dies funktioniert, weil sich die gewaltlose Disziplin bei den Protesten durchsetzte. Das Gegenbeispiel sei Libyen, wo Opposition und Regime in kürzester Zeit in eine Gewaltspirale geraten seien.
In den Schriften von Canvas werden konkrete Aktionen zur Durchführung eines Umsturzes beschrieben, vage bleiben jedoch dessen Ziele: «People's Power», Demokratie, Menschenrechte. Das müsse so sein, sagt Popovic. Denn die Revolutionäre entwickelten ihre «Vision der Zukunft» selber. «Wir stellen nur die Werkzeuge zur Verfügung.» Das hat seine Logik. Canvas arbeitet mit ganz unterschiedlichen Bewegungen zusammen: Burmesen, die sich gegen die Diktatur wehren, Nigerianer im Kampf gegen Ölgesellschaften, West-Papuaner, die sich von indonesischer Fremdherrschaft befreien wollen. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Revolutionäre zwar lernen, wie das ungeliebte Regime zu stürzen ist, dann aber mit der Macht nichts anfangen können? «Ja, das ist ein Problem. Aber nicht unseres. Die Führer der Revolution müssen vorausdenken.»
SrdjanM
2011-03-27 04:00 AM
Leitfaden für Revolutionäre
Die ehemaligen Otpor-Aktivisten haben ihr Handbuch «Gewaltloser Kampf» vor drei Jahren herausgegeben. Es gründet massgeblich auf den Theorien des amerikanischen Soziologen Gene Sharp. Er plädiert für die Gewaltfreiheit als effiziente Methode im politischen Kampf.
Im serbischen Handbuch werden diese Theorien praxistauglich gemacht: Staatliche Macht, so heisst es, ist keine objektive Grösse, sondern hänge davon ab, ob sie von den Bürgern als legitim akzeptiert wird. Sie basiere auf Institutionen, sogenannten Säulen der Macht. Dazu zählen Armee und Polizei, aber ebenso Schulen und Religionsgemeinschaften.
Wird der Gehorsam und der Glaube an die Macht von einer Gruppe Bürger aufgekündigt, öffnen sich neue Räume für politisches Handeln. Sie können genutzt werden, wenn es gelingt, die Massen zu mobilisieren. Folgende Elemente sind dabei gemäss dem serbischen Leitfaden entscheidend:
Kampagnen
Wer etwas bewegen will, muss planen. Das Ziel, einen Autokraten zu stürzen, muss durch Kampagnen umgesetzt werden. Mit Streiks, Strassentheatern, Boykottaufrufen, Demonstrationen, Skandalen können Aktivisten die Masse bewegen und den öffentlichen Raum erobern. Wichtig dabei ist es, die Unterdrücker in Dilemmata zu versetzen: Sind politische Veranstaltungen etwa verboten, können Sportanlässe oder Trauerzüge zu politischen Events umfunktioniert werden. Der Herrscher büsst dabei an Glaubwürdigkeit ein, ob er eingreift oder nicht.
Kommunikation
Sowohl für den Zusammenhalt der Gruppe wie auch für die Mobilisierung der Massen ist die strategische Kommunikation entscheidend. Die Botschaften müssen der Zielgruppe angepasst werden: Insider (Aktivisten und Sympathisanten) werden anders angesprochen als das unentschiedene Publikum oder potenzielle Alliierte im In- und Ausland. Vom Staat unabhängige Kommunikationskanäle müssen extensiv genutzt werden, um Gegenöffentlichkeiten aufzubauen.
Identität
Eine starke Gruppenidentität muss herangebildet werden, unterstützt durch Symbole, Sprache, Verhaltensweisen. Die Arbeit der Aktivisten muss in Spezialgebiete aufgeteilt werden: Administration, Aufklärung, Kommunikation, Logistik. Wichtig ist es, den Informationsfluss aufrechtzuerhalten und die Leute immer zu beschäftigen. Die Gruppe wird für die Mitglieder zur identitätsstiftenden Gemeinschaft.
Repression
Wenn der Gegner zurückschlägt, sollen die Aktivisten den Provokationen und der Gewalt wenn möglich ausweichen oder sie aushalten. Nie aber dürfen sie mit Gegengewalt reagieren. Darauf wartet der Unterdrücker nur. Das Handbuch rät, nur so weit zu provozieren, als dass der erwartbare Gegenschlag pariert werden kann. Da der Gegner immer mithört, müssen die Informationsflüsse dauernd überprüft werden. Wichtig ist es zudem, sich innerlich auf mögliche Repressalien des Gegners vorzubereiten. Gruppenspezifischer Humor, so heisst es, hilft gegen Angst. Auf Demonstrationen macht der eigene Lärm Mut, und grosse Transparente an der Spitze des Zuges verdecken die einschüchternde Phalanx des Gegners.
Srdja Popovic, Andrej Milivojevic, Slobodan Djinovic: Nonviolent Struggle. 50 Crucial Points. Belgrad 2007
www.canvasopedia.org
SrdjanM
2011-03-27 04:01 AM
Aufstand in Ägypten
Belgrader inspirieren Aktivisten in Kairo
Die demokratische Gruppe «6. April», die bei der Revolution in Ägypten eine entscheidende Rolle spielen sollte, nahm sich die Widerstandsbewegung Otpor zum Vorbild und setzte sich zum Ziel, den serbischen Aufstand zu imitieren. Im letzten Sommer beschloss die Gruppe deshalb, zwei ihrer Mitglieder, einen Mann und eine Frau, zu Srdja Popovic nach Belgrad zu schicken, um die Instrumente der Revolution zu studieren. Die beiden Ägypter blieben zehn Tage dort.
Warum wollten sie gerade bei Otpor dazulernen? Hauptgrund, so heisst es heute beim «6. April», war der Wunsch, friedlich zu revoltieren, so wie es Otpor vor über zehn Jahren getan hatte. Ausserdem seien die Mentalitäten der serbischen und der ägyptischen Revolutionäre ähnlich. Der junge Mann, der nach Belgrad reiste, heisst Mohammed Adel; ausser neuen Erkenntnissen brachte er auch ein Paket mit Stickern und Plakaten heim. Das Handbuch zum Revoltieren war laut Adel von begrenztem Nutzen, da es übersetzt werden musste. Bereits in Belgrad hatten Verständigungsprobleme bestanden, denn beide Seiten konnten nur auf Englisch, also in einer Drittsprache, kommunizieren.
Dennoch kamen die wichtigsten Inhalte bei den Ägyptern an. Offenbar nützen sie Adel und auch der ägyptischen Revolution. So klebte Adel Sticker mit der berühmten schwarzen Otpor-Faust (die sich an internationalen Friedensbewegungen wie jener in den USA orientierte) an die Innenwände der Kairoer Metro. Pendler wurden aufgerufen, sich an den geplanten Aufständen zu beteiligen. Der «6. April» hatte schon eine Menge Demonstrationen organisiert, doch nie Ägyptens Massen dafür mobilisieren können. Das Geheimnis einer erfolgreichen Revolution liegt laut Canvas allerdings gerade in der Beteiligung grosser Menschenmengen - das leuchtete Adel sofort ein. Die grossen Massen waren bis anhin aus Angst daheim geblieben und mussten nun also auf die Strasse gebracht werden.
Adel und seine Mitstreiter der revolutionären Bewegung «6.April» kamen auch mit eigenen Ideen, um die Massen zu bewegen. Die mutigste war jene Idee des persönlichen Aufrufs. Sie kam von Adel und Ahmed Maher, einem weiteren bekannten Aktivisten von «6. April». Sie und andere Revolutionäre riefen durch zum Trichter geformte Hände die Häuserwände zu den Wohnungen hoch: «Kommt runter, macht mit, die Revolution ist ausgebrochen! Habt keine Angst!» Sie waren sich sicher, dass die Aufforderung ankommen würde. Denn die Zeit für die Revolution war in Ägypten gekommen.
Adel hatte von Popovic zudem gelernt, dass man sich von der Angst befreien müsse, die in jeder Diktatur verbreitet wird. Wenn man diese Angst überwinden könne, kämen die Leute und machten aus einer kleinen Revolte einen Volksaufstand, lehrte Popovic. Danach würde sich das Verhältnis rasch umkehren: Der Herrscher - in Ägypten war das damals Präsident Mubarak - bekomme Angst. Und damit sei die Revolution schon halb gewonnen. Dass der Aufstand gewaltlos bleiben musste, war den Ägyptern von Anfang an bewusst. «Neu war für uns, dass dies auch eine Revolutionsstrategie ist», meint ein Kairoer Revolutionär.
Adel wurde kurz nach Beginn der Revolte bei einer Demonstration festgenommen. Im Gefängnis nutzte er das Know-how aus Belgrad: «Ruhig und friedlich ausharren, hiess die Devise, die ich dort gelernt hatte, und das machte ich», sagt er in einem Film über die Gruppe «6. April». Doch als er die Belgrader Regel, Mithäftlingen Mut zu machen, anwandte, wurde er von Polizisten verprügelt. Sie ahnten wohl, dass sie diesen Aufstand verlieren würden. Kristina Bergmann, Kairo