Serbische Roma drängen in die Schweiz:
Neue Visumsfreiheit zieht diskriminierte Minderheit aus dem Balkan an

Die Zahl der Asylgesuche aus Serbien ist in den letzten Monaten förmlich explodiert. Vor allem Angehörige der Roma strömen in die Schweiz.

Von: Katharina Bracher, NZZ am Sonntag, 30.01.2011

Sie werden oft als «Fahrende» bezeichnet, aber eigentlich sind die Roma der Balkanländer traditionell sesshaft. Trotzdem haben sich im vergangenen Jahr Hunderte von ihnen auf den Weg in die Schweiz gemacht. Im Dezember 2009 haben die Schengen-Staaten die Visumspflicht für Mazedonien, Montenegro und Serbien aufgehoben; seither schnellt die Anzahl der Asylanträge in die Höhe. Besonders augenfällig ist die Veränderung im Falle von Serbien. Die Zahl der Asylanträge stieg innerhalb von einem Jahr um mehr als 58 Prozent an. Ein Blick in die Asylstatistik zeigt: Die überwiegende Mehrheit der 910 serbischen Gesuche des letzten Jahres stammt von Roma. «Rund 70 Prozent der serbischen Gesuchsteller gaben an, den Roma anzugehören», bestätigt Marie Avet vom Bundesamt für Migration (BfM). In gewissen Monaten des vergangenen Jahres waren es gar über 80 Prozent. Doch nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa habe man die Flüchtlingswelle aus Serbien zu spüren bekommen, sagt Avet.

Serbien gilt als sicheres Land

Die Schweiz begegnete der Flut von Asylanträgen, indem sie die Rückkehrhilfe für abgewiesene Gesuchsteller von bisher 400 Franken auf 100 Franken reduzierte. Durch diese Massnahme, so das BfM, sei der Anstieg zuletzt nicht mehr ganz so stark gewesen. Auch die Präsidentin der Konferenz der kantonalen Polizeidirektoren, Karin Keller-Sutter (fdp.), ist der Meinung, dass mit dieser Massnahme der Ansturm der serbischen Roma abnehmen werde. «Serbien ist EU-Beitritts-Kandidat und gilt somit als <safe country>.» Echte Gründe für Serben, in der Schweiz Asyl zu beantragen, existieren laut Keller keine.

Doch ist die Aussicht auf 400 Franken Rückkehrhilfe der einzige Grund für Roma, sich in der Schweiz um Asyl zu bemühen? «Der Hauptgrund für die neue Flüchtlingswelle ist die miserable Lage, in der sich die Roma in Serbien befinden», sagt Denise Graf von Amnesty International Schweiz. Ihre Situation habe sich in den letzten zwei Jahren zusehends verschlechtert. Der serbische Staat hat zwar 2008 Massnahmen zur Integration der Roma beschlossen, doch das Gesetz ist - sagen die Hilfswerke - toter Buchstabe. «Die Roma leben in Serbien oft unter schlimmsten Bedingungen», sagt Graf. Viele leben in Hüttensiedlungen ohne sanitäre Anlagen und Trinkwasserversorgung. Aufgrund von Diskriminierungen bleibe ihnen keine Möglichkeit, sich selbst aus ihrer misslichen Lage zu befreien. So hätten die Kinder der Roma keinen Zugang zu den regulären Schulen Serbiens. Zudem beobachtet Amnesty International vermehrt Vertreibungen der Roma aus Siedlungen, die von den Behörden formell nicht bewilligt worden sind.

Rom zu sein, ist kein Asylgrund

Für Migrations-Politiker wie Philipp Müller (fdp.) lenken solche Berichte vom eigentlichen Problem der Schweiz ab. Die langen Verfahren und damit die Aussicht auf langjährigen Aufenthalt in der Eidgenossenschaft seien der Hauptgrund, wieso Roma gerne in der Schweiz Asyl beantragten: «Allein Rom aus Serbien zu sein, rechtfertigt keine Anerkennung als Flüchtling.»